Wann und wie bist Du zu Sounds gekommen?
I
m Sommer 1971 habe ich in Köln angefragt, ob man an einer Konzertkritik von Emerson Lake & Palmer in Karlsruhe interessiert sei. Man war. Ich wollte mich dann zwar auf mein Biologiestudium konzentrieren, fuhr aber trotzdem im Sommer 1972 erst einmal nach Indien und meldete vorher noch bei Michael Wallosek mein Interesse an, für Sounds Platten zu rezensieren. Der schickte mir prompt „Blitzkrieg“ von Wallenstein, der Text erschien im Juliheft 1972, ein Jahr nach derELP-Kritik. Nach weiteren sporadischen Plattenkritiken kam dann mit der Spirit-Story im Herbst 1973 die erste große Geschichte, und über Jürgen Legath undJörg Gülden entwickelte sich eine kontinuierliche Zusammenarbeit.
Was hast Du vorher gemacht?
Vorher und die meiste Zeit parallel hatte ich noch Ambitionen, einmal als Diplomzoologe neue Spinnenarten am Kaiserstuhl zu entdecken oder die Qualität von Fließgewässern anhand ihrer Fauna zu definieren. Mit Sounds kamen dann aber nach und nach immer mehr journalistische Ablenkungen, vor allem auch für die Tageszeitung, und Auszeiten, um Konzerte zu veranstalten.
Was waren deine konkreten Aufgaben bei Sounds?
Anfangs durfte ich vor allem solche Platten besprechen, mit denen andere nichts am Hut hatten – vor allem Krautrock und Synthesizermusik. Dann bot ich selber Themen an, die mir am Herzen lagen. Und dann wurde ich immer öfter auch auf Reisen geschickt – zu Tangerine Dream in London oder zu Magma in Paris, aber auch mal auf eine zweiwöchige Tour zu den Sommerzeltlagern diverser Jugendorganisationen in Südwestdeutschland. Ich war immer eine Art Außenstelle und besuchte lediglich hin und wieder die Redaktion in Hamburg.
Wie war die Zusammenarbeit mit Legath, Gülden (und Schwaner)?
Höchst angenehm. Mit Legath wurden eher journalistische Aspekte besprochen, mit Jörg die musikalischen.
Es gab eine Phase, in der man (Legath) sich Gedanken über eine Ausweitung des Verlagsportfolios machte. Jürgen schwebte zeitweilig die Gründung eines neuen populärwissenschaftlichen Magazins vor (ähnlich wie P.M., aber hipper); als Biologe hatte ich den Auftrag, mir mal Gedanken über entsprechende Themen zu machen – so entstand eine Abhandlung über biologische und kulturelle Evolution, die aber nie veröffentlicht wurde; aus dem geplanten Heft wurde ja auch nichts.
Am Steindamm hatte auch Dirk Manthey ein Büro, wo er an der Nullnummer von Cinema bastelte, was der Anfang seines späteren Verlagsimperiums Milchstraße war. Ich durfte ihm mal beim Kleben der Fahnen über die Schulter schauen und ließ mir erzählen, was er alles vorhatte. Da hatte ich aber immer noch vor, als Zoologe in der freien Natur ein gesünderes Leben zu führen denn als Journalist.
Mit Jörg Gülden hat es immer Spaß gemacht – ich schicke einen Nachruf mit, den ich in MusikWoche veröffentlicht habe und der wohl rüberbringt, was ich meine.
Kontakt zu Teja hatte ich kaum; der Kontakt kam erst viel später intensiver zustande, als ich mit Teja für den Hannibal-Verlag an einigen Themen arbeitete (er als Übersetzer, ich als sein Lektor).
Die monatliche Themenplanung besprach ich später meist mit Michel Kröher, und so kümmerte ich mich auch um die Folkszene, in der seine Onkels Hein & Oss ja sehr prominent waren.

Wie sah der redaktionelle Alltag bei Sounds aus? (Wann begann die Bürozeit? Viele Reisen zu Interviews?) Rock’n Roll-Lifestyle in der Redaktion?
Zum Alltag in der Redaktion kann ich nichts sagen. Auf Reisen wurde ich allerdings viel geschickt.
Den Rock’n’Roll-Lifestyle verkörperte in meinen Augen vor allem Jörg, wenn ich in der Redaktion vorbeischaute – sein Outfit mit Boots, Jeans etc., seine Gitarre neben dem Schreibtisch, seine Rauchgewohnheiten (ebenso die von Teja und Salzinger).

Gibt es ein Interview/Konzert/Platte von damals, die dir aus ihrer Sounds-Zeit besonders in Erinnerung geblieben ist?
Don’t get me started …
Interviews:
Spirit – das war einfach völlig irreal, meine Lieblingsband in einem Kaff im Kaiserstuhl eher zufällig beim Vorbeifahren zu treffen. Sie hatten dort den Gemeindesaal gemietet, um für ihren Auftritt bei einem Festival einige Tage später zu proben. Die Probe wurde zum Konzert fürs ganze Dorf, saßen wir stundenlang zusammen. Und ich musste ihnen später den Sounds-Artikel übersetzen und schicken …
Brian Eno
Aber auch Phil Manzanera – weniger wegen des Interviews an sich, sondern weil ich wegen eines gezogenen Weisheitszahns kaum reden konnte und er mich vermutlich auch nicht verstand; das war lustig
Magma – der Besuch bei Christian Vander in seiner Pariser Wohnung
Rush – nach ihrem ersten Europa-Konzert in Stockholm
Die Zugfahrt mit Peter Gabriel von Brüssel nach Paris.
Konzerte
Tangerine Dream in der Royal Albert Hall, die Party danach im roten Haus von Richard Branson in Notting Hill und bei dieser Party das Gespräch mit
Christopher Franke über die digitale Zukunft der Musik (der Mann hatte 1975 eine erstaunlichen Weitblick und hat meinen Umgang mit der Materie entscheidend beeinflusst).
Die Sex Pistols bei ihrer „Anarchy in the UK“-Tour in Birmingham, am Tag darauf Aswad auf der Straße beim Notting Hill Carnival, wo es zu den ersten großen Straßenunruhen kam.
John Martyn – den hatte ich über Branson und Virgin zu einem einzigen, außergewöhnlichen Konzert ins Audimax in Freiburg geholt.
Platten
Enos „Before And After Science“ und „Another Green World“
Joe Walsh: „The Smoker You Drink The Player You Get“
Lou Reed: „Transformer“, „Metal Machine Music“
Etc. pp

Gab es besonders Beziehungen zu Musikern?
Eher selten; ich entdeckte ja ständig neue Musiker, für die ich mich begeisterte.
Aber zu den spezielleren längerfristigen Kontakten gehörten sicher Brian Eno und Kevin Coyne, der mir noch Jahre später einige seiner Zeichnungen schenkte
Gab es direktes Feedback zu deinen Artikeln? Von Seiten der Leser, des Musiker, des Umfeldes?
Gab es. Damals weniger von den Lesern – da traf und treffe ich erst Jahre später immer wieder Leute, die mich auf damals ansprechen. Weniger auch von den Musikern selbst, aber doch hin und wieder aus ihrem Umfeld: Der Manager von Klaus Schulze, der sich wegen einer negativen Plattenbesprechung sehr echauffierte, gehörte zu den seltenen eher unangenehmen Fällen. Mit Virgin in London entwickelte sich eine jahrelange besonders intensive Zusammenarbeit, was sich auch fortsetzte, nachdem Udo Lange die deutsche Dependance aufgebaut hatte.
Gab es journalistische Vorbilder, nach an denen Du dich damals orientiert haben?
Als ich 1967 anfing, in Berlin für die Schülerzeitung Platten (aber auch Bücher und Filme) zu besprechen, hatte ich keine Vorbilder, las allerdings Melody Maker, New Musical Express und Billboard ebenso wie Rock & Folk und orientierte mich an denen. Und dann waren vermutlich Rainer Blome, Jörg Gülden und Helmut Salzinger die drei Kollegen, denen ich am liebsten nacheiferte.
Wie war dein eigenes Verständnis von Rockkritik? Was macht für Dich eine gute Rockkritik aus?
Mir ging es vor allem darum, das, was ich gut und wichtig finde, so vielen Menschen wie möglich schmackhaft zu machen. Daraus folgt, dass ich gute Rockkritikimmer als subjektiv geprägt verstehe. Dabei war (ist) mir wichtig, dass auch genug Informationen mit rüberkommen, die dem Leser helfen, für sich selbst zu einer Einordnung und Entscheidung zu kommen. Damit lässt sich auch spielen – weshalb ich unter Pseudonymen wie Bernd-Otto Forstmann (BOF), Konrad C. Demuth der Ivo Sand manchmal auch andere Positionen als ich selbst vertreten habe, was bei Lesern dann entsprechende Reaktionen ausgelöst hat, meistens erboste.
Wie würdest Du deine Zeit bei Sounds rückblickend charakterisieren? Was hast Du mitgenommen?
Es war für mich die spannendste und unterhaltsamste Nebenbeschäftigung der Welt – die mich vom geraden Weg in die Naturwissenschaft abgebracht hat, was ich freilich nicht bereue.
Woran erinnern Du dich am intensivsten, wenn Du an die Sounds-Zeit zurückdenkst?
An den gehobenen Status, den man selbst als freier Mitarbeiter bei Lesern, Plattenfirmen und Kollegen hatte. Das spürte ich sogar, wenn ich mit Kollegen vom Musikexpress unterwegs war. Und ich erinnere mich an die monatliche Lektüre des Hefts, das ich jedes Mal von vorn bis hinten gelesen habe.
Warum bist Du bei Sounds ausgeschieden?
Offiziell durfte ich nicht mehr für Sounds schreiben, nachdem ich im März 1980 als Musikredakteur bei Stereoplay (Motorpresse Stuttgart) angefangen hatte. Bis zum Ende von Sounds schrieb ich deshalb unter Pseudonym, zum Beispiel als Franziska D. Graf.

Was hast Du nach deiner Zeit bei Sounds gemacht?
Immer weiter auf dem aufgebaut, was ich bei Sounds geübt hatte: Musikredaktion bei Stereoplay und Audio, Mitgründer bei HiFiVision, mit Bernd Gockel beim Musikexpress, Gründung von Zounds (sic!) bei der Motorpresse, 1993 Gründung von MusikWoche, die ich immer noch mache; zwischendurch war ich Verlagsleiter von Hannibal, nachdem Robert Azderball den Verlag verkauft hatte (derselbe Robert A., der 1970 seiner Frau Erika die Verlegerschaft von Sounds schenkte)
Gibt es noch Kontakt zu ehemaligen Kollegen?
Bei diversen Hannibal-Büchern habe ich mit Jörg Gülden und Teja Schwaner gearbeitet; auch mit Diedrich Diedrichsen. Bernd Gockel sah man sporadisch, solange Rolling Stone noch in München war.
Welche Rolle spielt Musik heute in deinem Leben?
Nach wie vor die Hauptrolle – auch wenn sich bei MusikWoche der Akzent auf die Wirtschaftsberichterstattung über die Musikbranche verschoben hat und ich nicht mehr so viel Musik höre wie früher (die Zeit wird immer kostbarer).
Kanntest Du Rainer Blome noch und kannst Du ihn charakterisieren?
Damals hatte ich nur ganz kurz Kontakt, als ich mich als Mitarbeiter bewarb. Umso erstaunter war ich, als er mich Ende der Achtziger mal in Stuttgart anrief, um mir zu erzählen, dass er jetzt als DJ losziehen wolle, und um zu fragen, was ich denn nach all den Jahren so treibe. Das war ein sehr angenehmes Gespräch, das aber leider sehr abrupt unterbrochen wurde, weil in meinem Arbeitszimmer nebenan ein Regal mit Büchern zusammenbrach und in einer erdrutschartigen Kettenreaktion auch gleich noch die CD-Regale mit zum Einsturz brachte. Ob das ein böses Omen war?
Später erzählten mir Robert und Erika Azderball von ihren Besuchen in Köln. Robert, der in München im Filmgeschäft ein wenig Geld verdient hatte, wollte bei Sounds einsteigen, weil sie beide Rainer Blomes Arbeit sehr schätzten. Sie kamen aus der Jazzecke, wie Blome und Sounds. Sehr beeindruckend fanden sie die Katzen in Blomes Wohnung, die anscheinend zwangsläufig „ständig bekifft waren“.

Hast Du die neue Redaktion ab 1979 mit Diedrich Diederichsen, Thomas Buttler und Michael Kröher erlebt und wie beurteilst Du die Ausrichtung von Sounds auf Punk, NDW und später zum Glitzer- und Oberflächen Pop?
Ja, mit Michel Kröher habe ich ziemlich intensiv zusammengearbeitet. Thomas Buttler habe ich auch beim Besuch der Redaktion kaum wahrgenommen, nur beim Lesen seiner Texte. Diedrich D. fand ich brillant – vor allem, wenn er über Filme schrieb. Die inhaltliche Neuausrichtung fand ich richtig und nachvollziehbar – allerdings fand ich, dass Diedrich zwar ein wichtiger Denker war, aber einen schrecklichen Schreibstil hatte (was sich später durch Übung besserte). Das war die Antithese zu Jörg Gülden. Und schade fand ich, dass sich die „alten Herren“ so schnell zurückzogen. Sounds war vorher professionell gemacht gewesen (vor allem dank Legath) – mit der neuen Redaktion kamen viele wichtige neue Gedanken ins Spiel, aber die journalistische Umsetzung ließ in meinen Augen zu wünschen übrig. Deshalb wunderte es mich nicht, dass die Auflage zurückging. Dass niemand gegensteuerte, fand ich sehr sehr schade.