Jörg Gülden (1944 - 2009)
Wenige Tage vor der Veröffentlichung seines neuen Buchs für den Hannibal Verlag, "Woodstock - Wunder oder Waterloo?", starb Jörg Gülden am 8. Mai 2009 im Alter von 64 Jahren.
Ein Nachruf von Manfred Gillig-Degrave
Er war ein ganz Großer - von Statur wie auch im übertragenen Sinne. In den Redaktionsräumen von Deutschlands bester Musikzeitschrift "Sounds" am feinen Mittelweg in Hamburg überragte er in den frühen Siebzigern jeden Kollegen; seine Cowboystiefel trugen zusätzlich zum optischen Eindruck bei. Neben Schreibtisch und Schreibmaschine war die elektrische Gitarre, auf der er zwischendurch gern spielte, der Blickfang in seinem Büro. Und natürlich die diversen Stapel von Langspielplatten. Jörg Gülden liebte die Musik, und er verstand es meisterhaft darüber zu schreiben. Wenn es um kalifornische Bands von den Eagles bis zu Souther Hillman Furay oder um britischen Pubrock von den Kursaal Flyers bis hin zu Mickey Jupp oder Brinsley Schwarz ging, war er in seinem Element. Und wenn er von etwas begeistert war, dann musste die Welt davon erfahren, und er sorgte dafür, dass seine Leser nicht nur Fakten, Fakten, Fakten vorgesetzt bekamen, sondern dabei auch noch bestens unterhalten wurden. Denn der gebürtige Paderborner hatte den US-Autor Hunter S. Thompson ("Furcht und Schrecken in Las Vegas") als Vorbild und bediente sich nicht von ungefähr des Pseudonyms Dr. Gonzo. Legendär waren die Verrisse von Dr. Gonzo in ein, zwei bissigen Sätzen - was ham wir gelacht.
Lachen konnte man oft mit Jörg. Er war ein sonniges Gemüt, ein Optimist; er war herzlich, witzig, offen und vertrauenswürdig. Und wie er reden konnte! Im Grunde war er kein Autor, sondern ein Geschichtenerzähler, und selbst wenn manchmal ein bisschen zu viel Dampf in der Plauderei war - es war stets ein Vergnügen, ihm zuzuhören.
Ihm verdanke ich vermutlich, dass ich nicht Diplombiologe wurde. Denn mit Krautrock oder deutscher Synthesizermusik hatte er damals nichts am Hut. Die Veröffentlichungen aus dieser Ecke schickte er einmal im Monat dem freien Mitarbeiter Manfred Gillig, seitdem der sich wohlwollend mit dem Debütalbum der Gruppe Wallenstein befasst und sich auch als Eleve der "Berliner Schule der Elektronik" von Tangerine Dream, Ash Ra Tempel und Konsorten geoutet hatte. Und so nahm vieles seinen Lauf.
Jörg Gülden schrieb indes nicht immer nur über Musik: Eine Sternstunde für "Sounds" war zum Beispiel sein Gonzo-Reisebericht von einem Pauschaltrip nach Mallorca. Mit Texten wie diesem war er ein Vorbild.
Dabei war seine Laufbahn nach der "Sounds"-Ära nicht immer nur ein Vergnügen. Für Rowohlt betreute er in den späten Siebzigern zusammen mit Klaus Humann die erfolgreiche Taschenbuchreihe "Rocksession"; mit einer Musikzeitschrift namens "Rock World" erlitt er in den Achtzigern Schiffbruch. Er war Musikchef bei SFB und OK Radio und hob 1994 zusammen mit Bernd Gockel und dem Konzertveranstalter Werner Kuhls die deutsche Ausgabe des "Rolling Stone" aus der Taufe. Dafür bekamen die beiden 1996 als Medienmänner des Jahres den Echo. Das änderte freilich nichts daran, dass Jörg nach dem Verkauf des "Rolling Stone" an Axel Springer Mediahouse München seinen Schreibtisch räumen musste.
In den vergangenen Jahren machte er sich als Übersetzer von Musikbüchern einen Namen, über Bob Marleys "Exodus", über die "Kokain-Cowboys in den Canyons von L.A." oder über Gypsy-Musik ("Balkan-Blues"). Nach einer schwierigen Phase ging es endlich wieder aufwärts. Doch das Leben ist ungerecht, der Tod noch mehr: Vor zwei Jahren hatte Jörg sein Haus verlassen, ohne den Schlüssel mitzunehmen. Beim Versuch, über das Fenster in die Wohnung einzusteigen, stürzte er so unglücklich, dass er lange an den Folgen der komplizierten Beinbrüche litt. Eine Hüftoperation sollte Besserung bringen. Sie brachte den Tod, anscheinend wegen einer Blutvergiftung.
Mit Jörg Gülden verliert der deutsche Musikjournalismus einen wahren Pionier.
Manfred Gillig-Degrave
Kleine Korrektur:
Die unglückliche Verkettung der Umstände, die zum Tod führten, ist anscheinend noch fieser, als damals kolportiert. Die Geschichte geht nach anderen Quellen so: Jörg hasste Tauben. Um sie zu verscheuchen, als er nach Hause kam, warf er mit dem Schlüssel nach einem Vogel. Der Schlüssel blieb in der Dachrinne liegen; Jörg versuchte ihn rauszuholen und stürzte …